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Berliner Orgie von Thomas Brussig


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Für den Reportageroman "Berliner Orgie" wagte sich Thomas Brussig ins Berliner Rotlicht

"Enklave der Herrschaft des Triebes"

 

Die Fußball-WM im vergangenen Jahr ließ die Herzen deutscher Hoteliers und Gastwirte höher schlagen. Doch nicht nur in Luxushotels und Jugendherbergen herrschte großer Andrang, auch in Bordellen blieben keine Betten mehr frei, erfährt der Leser von Thomas Brussigs Reportageroman "Berliner Orgie".

 

Was sind das für Frauen, die sich für Geld hingeben? Eine Frage, die so alt ist wie das Gewerbe selbst. Neugier trieb den Romancier und bekennenden Nichtbordellgänger Thomas Brussig ins Rotlichtmilieu Berlins - seiner Frau musste er versprechen, es nie "zum Äußersten" kommen zu lassen. In der Rolle des Naiven sucht er die Varianten käuflicher Liebe und das Gespräch mit den Huren. Vom Straßenstrich über Pornokinos zum Begleitservice, Brussig hat sich alles angesehen und selbst in den verführerischen Etablissements der Versuchung widerstanden. Das Ergebnis ist ein weit gehend nüchterner Augenzeugenbericht, in dem sich Brussig zu seltsamen Äußerungen hinreißen lässt: "Dass in der Prostitution Männer Frauen kaufen, ist ein Irrtum, eine Verkennung der wahren Lage." Der Kunde ist machtlos und bekommt für sein Geld wenig geboten, schließt Brussig aus Internetberichten. Nicht nur die Sicht auf die Kunden ist oberflächlich, auch der Kontakt zu den Prostituierten bleibt distanziert. Die Frauen erzählen ihre Lebensläufe, sie bestätigen die Klischees, um für den Kunden interessanter zu wirken. Wie viel Wahres daran ist, lässt Brussig ungeprüft. Der Reportageroman genügt nicht dem journalistischen Anspruch, und voyeuristische Färbungen machen die Berichte auf literarischer Seite nicht interessanter: Als er in einem Swinger-Club eine Orgie beobachtet, wird es für den verheirateten Brussig schwer, Distanz zu halten, und so ergießt er sich in einer peinlichen Beschreibung der Szene. Wer da mit wem was macht und wie das genau aussieht? Brussig spart weder an Details noch an großen Worten: "Ein Selbsterfahrungstrip, eine Enklave der Herrschaft des Triebes bei gleichzeitiger Außerkraftsetzung der bürgerlichen Sexualmoral, ein gelebter Traum der freien Liebe. Doch die Begeisterung ist nicht von Dauer. "Langsam bin ich es leid, dieses Milieu mit seinen immer gleichen Schemen, seiner Einfallslosigkeit, seiner Abzocke", klagt er gegen Ende seiner Reise. So schließt das Buch mit einer deprimierenden Betrachtung: Die Prostituierten sind die bösen Verführerinnen und die Männer die arglosen Opfer. Das muss für Massen bedürftiger Fußballfans ja ein böses Erwachen gewesen sein.Claudia Schumacher

 

Quelle: Stuttgarter Nachrichten

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