Skript gekippt

est · July 29, 2007

Skript gekippt

Der konkrete Ablauf eines Dates, zumal eines längeren, ist meist schwer vorherzusagen und darauf im vorhinein Einfluss zu nehmen, ist ein zweifelhaftes Unterfangen. Sicher lassen sich einige geplante Elemente in den Ablauf einfügen, aber die Dynamik ist dann doch eher geprägt von spontanen Wünschen als von langfristigen Überlegungen. Trotzdem ist es eine schöne Vorbereitung, sich Gedanken über den konkreten Ablauf eines Treffens zu machen, sich dies konkret vorzustellen und mit dem Partner auszutauschen.

In diesem Fall ging es sogar noch einen Schritt weiter. Zum einen war es die Dame, die ihre Vorstellungen über den Ablauf konkretisiert hatte. Zum zweiten wurden diese dem Herrn zu Beginn der Begegnung in einer Art Drehbuch übergeben.

Und das ging so. Gemeinsam im Hotelzimmer angekommen übergab die Dame ein als Urkunde gerolltes Dokument. „Ich habe Dir ein Geschenk mitgebracht. Du wolltest doch immer einmal etwas von mir lesen“. Freudig öffnete der Herr die rote Schleife und warf einen ersten Blick auf das Schriftstück, dessen Farbe und Duft ihm von einer früheren Begegnung vertraut war. Liebevoll waren ihre Vorstellungen beschrieben: wir kennen uns nicht, erste Begegnung in der Bar, eine symbolische Handlung (die hier nicht weiter beschrieben werden soll), Näherkommen, Berührungen, dann allmählicher Rückzug ins Hotelzimmer. Alles auf’s Schönste komponiert.

Indes, eines hat die Dame in ihrem Skript nicht berücksichtigt: die Wirkung ihrer eigenen Anwesenheit. Bereits das Lesen des Schriftstücks wurde durch die vorhandene Ablenkung erschwert. Die Präsenz der Autorin hat es dem Leser fast unmöglich gemacht, sich auf den Text zu konzentrieren. Stattdessen wanderte seine Aufmerksamkeit zu ihrem Gesicht, zu ihrem Busen, zu ihren Beinen und zu allem, was sich an Köstlichkeiten dazwischen befindet.

Und es liegt in der Natur der Sache, dass dadurch Wünsche entstanden, deren Realisierung im Drehbuch erst an viel späterer Stelle vorgesehen war. Gefördert durch die Ablenkung und die Verfügbarkeit eines Hotelbetts haben diese Wünsche dann allmählich das Verhalten bestimmt und eine radikale Umkehrung der Ereignisfolge bewirkt. Aus Wunsch wurde heftiges Begehren. Es entstand ein Drängen nach dem Körper des anderen, ihn nackt zu sehen, ihn zu berühren, zu schmecken, zu riechen, ihn zu umfassen, mit Haut und Zunge zu liebkosen und schließlich in ihn einzudringen. Eine animalische Gier hatte plötzlich die Regie übernommen und alle Planungen zu Makulatur werden lassen. Tierische Lust diktierte die Bewegungen der Hüften, das Stoßen, das Stöhnen, die Hemmungslosigkeit, das schamlose Umklammern, den Schweiß auf der Haut. Beide waren eins als der süße Blitz in ihre Körper einschlug und sie gemeinsam zuckend den Höhepunkt der Vereinigung erlebten. Die Gewalt dieses Ereignisses hatte die Körper eine ganze Zeit lang unterworfen und ihr Fühlen beherrscht. Doch allmählich entspannten sich ihre Muskeln, sie wurden ruhig und ein zufriedenes Lächeln zog über ihr Gesicht. Eine zärtlicher Kuss war der gegenseitige Dank für die Gemeinsamkeit des Genusses und für die Zuneigung, die sie dabei verband.

Und dann die Erinnerung: da gab es doch einen Plan!

Ach ja, sie wollten sich doch erst kennenlernen.

Nun, dieser Programmpunkt war bereits abgearbeitet.

Etwas anders als vorgesehen, aber nicht minder intensiv.

Das Skript war gekippt und der Abend hatte erst begonnen…

Aber in die Bar wollten sie dennoch. Sie hatten Durst!