Outing

[friederike]

Eine Umfrage an die Kolleginnen zu einem Thema, das wahrscheinlich nicht wirklich neu ist, aber mich gerade beschäftigt: das Outing.

 

Von meiner Tätigkeit als Sexarbeiterin weiß in meinem Umfeld niemand mit zwei Ausnahmen: mein derzeitiger Freund, den ich als Kunden kennengelernt habe, und mein Bruder, der durch einen unglücklichen Zufall davon erfahren hat.

 

Aber vor kurzem habe ich meinen ehemaligen Sportlehrer als Kunden gehabt, der inzwischen pensioniert ist. Es ist gut möglich, dass der Typ "quatscht". Es wäre wohl besser, mein Umfeld würde es direkt von mir erfahren, nicht über solche Umwege. Andererseits kann ich die Wirkung eines Outings kaum abschätzen.

 

Wie habt Ihr diese Frage für Euch beantwortet? Welche Erfahrungen habt Ihr gemacht?

[Julia Graf]

Das ist wirklich sehr schwierig. Bei mir wissen es auch nur zwei gute Freunde.

 

Mein ex-Freund hatte es per Zufall heraus gefunden (wir waren zu dem Zeitpunkt schon längst getrennt ) und hat es in seinem Familien und Freundeskreis herum erzählt. Natürlich allen auch meine damalige Agenturseite jedem gezeigt. War sehr unschön.

 

Als er mich damit erpressen wollte, habe ich ihm erklärt, dass er beruflich (er ist selbstständig und hat eine eigene Firma ) mehr zu verlieren hat als ich und es mir Spaß macht. Wir sind mittlerweile gute Freunde. Er hat gemerkt, dass ich es aus Freude & Spaß mache und er mich auch nicht davon abringen konnte...lustigerweise vermissen seine Eltern mich mittlerweile und reden häufig sehr positiv über mich...mehr als früher:lach:

 

Meine Familie weiß es nicht, denn sie hätten dafür kein Verständnis. Mittlerweile könnte ich wohl über deren Reaktion drüber stehn, aber wirklich wissen tu ich es nicht.

 

Ich würde warten und mich dann der Situation stellen....quasi aus dem Bauch raus reagieren. Vernünftig argumentieren und denen es aus meiner Sicht erklären. Beruflich müsste ich wohl den Arbeitsplatz wechseln...Chefin ist erzkatholisch:zwinker:

Edited May 1, 2016 by Julia Graf

[Tanja]

Ich musste mich sehr schnell outen bei meinen Kids, weil ich mich nicht erpressbar machen wollte. Das bedurfte viel Emphatie und Einfühlungsvermögen, aber da ich meine Kids zu offenen, toleranten Menschen erzogen habe, war es letztendlich kein Problem.

Lange Jahre war ich nur im engsten Familien und Freundeskreis geoutet, das hat auch nie zu Problemen geführt, bzw dem ein oder anderen Erpressungsversuch konnte ich so etwas entgegensetzen.

 

Ich konnte nebenbei auch weiterhin eine selbständige Tätigkeit als 2. Standbein ausüben, ohne weitere Probleme.

 

Das hat mich mutig und stark gemacht, vielleicht auch zu mutig....

 

2014 wurden Kolleginnen und ich öffentlich zwangsgeoutet...

Das hat leider weitreichende Folgen, meiner Überzeugnung nach auch beabsichtigt, um uns politisch mundtot zu machen und zu zermürben.

 

Mein 2. Standbein musste ich aufgeben, genauso wie eine von mir bezahlte Ausbildung, da ich nicht mehr "seriös" genug bin....

 

Wohnungssuche für mich musste ich leider anderen überlassen, Gott sei Dank hab ich da die Unterstützung von Familie und Freunden, denn auch dafür bin ich nicht mehr "seriös" genug.

 

Ich würde niemandem empfehlen sich ohne Notwendigkeit zu outen. Die Folgen sind nicht absehbar und weitreichend... leider immer noch.

 

Gerade wenn man noch jung, und der Weg im Leben nocht nicht klar ist.

Vorsicht bei Informationen, die man ins Internet stellt! Fotos, Texte... usw

Es kann einen alles einholen und schnell sind berufliche Ziele in Gefahr.

 

Unser Zwangsouting hatte nicht den Erfolg, der beabsichtigt war, und mittlerweile kann ich damit umgehen, aber ich bin auch keine 20 mehr, habe ein sehr stabiles Umfeld und mir neue Wege erarbeitet.

 

Ich würde dir empfehlen, von Fall zu Fall genau zu überlegen, ob ein komplettes Outing nötig ist, um dich gegen Erpressung zu wehren.

 

Manchmal reicht es auch nicht erpressbar zu erscheinen, und Konsequenzen für den anderen aufzuzeigen.

 

Wenn du deine Familie und dein Umfeld richtig einschätzen kannst, dann kannst du auch ein Outing "häppchenweise" vorbereiten...

 

Beruflich ist ein Outing in vielen Fällen das "Aus".

 

LG Tanja

 

PS

 

Außer du schaffst es das "Opfer" zu geben, das dann gegen Prostituion angeht um wieder in der Gesellschaft einen Platz zu bekommen, wobei dich aus Mitleid und Berechnung bestimmte Menschen/Organisationen unterstützen...

Genau Diejenigen, die dich durch ihre Doppelmoral, Ablehnung und Ausgrenzung in diese Lage gebracht haben.

[Asfaloth]

Das Thema findet sich ja in einigen Diskussionen, aber hier mal auf die Schnelle die beiden m.E. passendsten Threads...

 

Wurdet ihr schonmal "enttarnt" ?

 

Wer weiß von Eurem "hobby"?

[Jasmina]

Die Ausgangsfrage muss wirklich jeder ganz für sich selbst beantworten!

 

Vor allem wenn man noch jung an Jahren ist, könnte ein Outing das ganze zukünftige Leben beeinflussen.

 

Sicher kann man nie sagen, was die Zukunft bringt. Aber ich für meinen Teil bin insoweit gefestigt, dass ich nicht mehr auf das Gutdünken anderer angewiesen bin und sein möchte.

 

Was mir ganz wichtig ist und war: Nicht erpressbar zu sein!!

Aus diesem Grund habe ich dies schon bei meinem Arbeitgeber abgeklärt, bevor ich mit dem Escort angefangen habe.

Nach und nach habe ich mich auch in meinem Familien- und Bekanntenkreis geoutet. Dabei waren unter anderem die für mein Leben wichtigsten Personen. Bisher bin ich zwar nicht immer auf Verständnis aber zum Glück noch nie auf Ablehnung meiner Person gestoßen.

 

Wer mit meinem Lebenswandel nicht zurechtkommt, ist nicht gezwungen, sich mit mir abzugeben! Aber bei den Leuten, die mich akzeptieren kann ich sein wie ich bin, brauche mich nicht verstellen und muss nicht nach Ausreden suchen.

 

Ich liebe dieses, damit freie Leben ohne Angst und ohne erpressbar zu sein!!

 

Aber wie schon geschrieben ist dies vielleicht auch eine Frage des Alters…..

[ania]

Bei mir hat es für geklappt, aber es kommt wirklich auf dein Umfeld an

[friederike]

Vielen lieben Dank für Eure Postings! Das hilft mir schon sehr viel weiter.

 

Ich denke ich lasse erst einmal alles wie es ist. Alle Handlungsoptionen haben ihre Risiken, irgendwann werden Gerüchte aufkommen, irgendwann kommt es heraus - aber bis dahin mag es noch eine Zeitlang gutgehen.

 

Das Outing gegenüber meinem Bruder war eine Erleichterung. Das ist erstens gut verlaufen, und unser Verhältnis ist seither viel offener und entspannter. Das wird aber nicht überall so sein ...

[Anubis]

Hm. Mal ein Gedanke: Wenn in unserer Gesellschaft so gut wie jeder in seinem erweiterten Bekanntenkreis ein Escort kennt - und sich somit selbst ein Bild machen kann "was das für welche sind" - dann müsste sich das mit der Stigmatisierung doch eigentlich erledigt haben. Es ist ja nicht mehr das verruchte Unbekannte, sondern das Mädel nebenan, das man eh schon immer nett fand. Da wärs doch dann viel schwerer, dumpfe Vorurteile zu hegen. Wenn sich alle Escorts outen sollten das doch für diesen Zustand ausreichend viele sein?

 

In diesem Sinne: Outing als Massenphänomen kann vielleicht endlich erreichen was sich alle wünschen. Oder trau ich unserer Gesellschaft da zuviel zu und wir hätten die Hexenjagd wieder zurück?

[haveaniceday]

Ein reizvoller Gedanke, Anubis. Allerdings bin ich da nur eingeschränkt optimistisch. Es gibt doch jede Menge traurige Beispiele, wie wenig liberal das Denken im Allgemeinen ist. Noch immer gilt ein Mann mit vielen Sexualpartnern als "ein toller Typ" - bei einer Frau (und hier ist nicht einmal Escort gemeint) denken viele eher an "Schlampe" - insofern wäre meine Empfehlung eher gegen das Outing.....

Aber es gibt ja auch hier im Forum selbstbewusste Frauen, die auf ihren Seiten nicht nur Flagge, sonden auch Gesicht zeigen.

haveaniceday

[Philebos]

In diesem Sinne: Outing als Massenphänomen kann vielleicht endlich erreichen was sich alle wünschen. Oder trau ich unserer Gesellschaft da zuviel zu und wir hätten die Hexenjagd wieder zurück?

 

 

Ein solches Outing von Escorts müsste dann aber auch von einem Kunden-Outing begleitet werden, das dann sehr schön zeigen würde, dass Prostitution ein Massenphänomen in allen Gesellschaftsschichten ist. Die dazu nötige Courage traue ich allerdings den wenigsten Männern zu.

[friederike]

Also ich hab mich schon mit einigen Kolleginnen unterhalten ... Die einen haben sich selbst geoutet. Die Reaktionen waren etwas zwischen "Ach, du machst sowas? Du bist doch gar nicht der Typ ..." bis zu klar ausgedrückter Ablehnung. Der Kontakt wurde eigentlich durchgehend heruntergefahren, Akzeptanz war klar die Ausnahme. Vorteile hat das Outing nicht gebracht, auch nicht im Sinne einer Befreiung ("jetzt hat die Lügerei ein Ende ...").

 

Die anderen wurden geoutet, haben also sich nicht selbst entschieden - und das ist die Situation, die ich im Auge habe. In den Fällen kam im engeren Familien- und Freundeskreis eben noch das Moment dazu, dass die Betreffenden die Nachricht indirekt bekommen haben ("... und hast du uns die ganze Zeit angelogen ..."). Der klassische Fall ist wohl, dass man einen Bekannten trifft, der sich dann nicht diskret verhält.

 

Genau das ist mir schon passiert, zum Glück nur bei meinem (jüngeren) Bruder. Bei ihm habe ich einen seiner Freunde getroffen, der mich eben erkannt hat und alles brühwarm meinem Bruder gesteckt hat, inklusive einem "Bericht" aus einem Freierforum. Mein Bruder hat mich angesprochen und ich habe gleich alles zugegeben. Das lief zum Glück gut ab, wir hatten ein gutes Gespräch und mein Bruder hat dichtgehalten. Es hat unserem Verhältnis gutgetan, das seither enger und besser ist.

 

Nun habe ich vor einiger Zeit wieder einen Bekannten getroffen, von dem ich weiß, dass er auch meine Eltern kennt und deren Adresse, und den ich für einen Schwätzer halte. Er würde sich freilich selbst outen, würde er meine Eltern direkt ansprechen, aber es gibt natürlich andere Möglichkeiten.

 

Nach Abwägung der Pros und Contras werde ich jetzt erst einmal gar nichts unternehmen und das Risiko eines Geoutetwerdens in Kauf nehmen. Viel schlimmer kann es eigentlich nicht werden ...

[ania]

Das ist korrekt, einen Vorteil hat es nicht, außer dass man eventuellen Erpresser den Wind aus den Segeln nimmt

[Laxly]

Also ich sag mal so, von meiner (Bucher)-Seite gesehen: Gefühlt ziemlich alle vermuten es dass ich gewisse Dienste in Anspruch nehme, aber keiner spricht mich direkt darauf an. Komisch.

Vielleicht ist es die Angst vor der Wahrheit die so gar nicht ins (beschränkte) Weltbild passt und die eigene unsichere Reaktion darauf. Keine Ahnung, kann es nicht abschätzen was dann passiert...

Deshalb lasse ich lieber mein Umfeld im neugierigen, aber letztlich selbstberuhigten Unwissen, dann muss mich auch keiner "anpissen"... ;-)

 

Man/frau sollte möglichst nicht lügen, aber es muss ja nicht immer die Wahrheit ungefragt ausgeplaudert werden ;-)

[friederike]

Um Lügen kommt man nicht herum. Man hat Termine, steht für Anderes nicht zur Verfügung, lehnt Einladungen ab, als Beispiele. Man reist irgendwohin und muss auf Nachfragen eine "Story" präsentieren (die man sich merken muss). Man hat Kleidungsstücke oder Accessoires, zum Beispiel teure Schuhe, die man entweder verborgen halten muss oder zu deren Herkunft man eine Erklärung braucht. Und so weiter.

[Jasmina]

Und genau das möchte ich eben nicht: Lügen!

 

Es gibt für mich fast nichts Schlimmeres, als angelogen zu werden! Passiert dies in meinem privaten Umfeld, bin ich dermaßen enttäuscht, dass es sehr schwer ist, wieder ein Vertrauensverhältnis herzustellen (falls nicht gar unmöglich).

 

Selbst im Escort möchte ich nicht Lügen oder mir irgendwelche Stories ausdenken müssen. Denn es stimmt, Friederike, merken muss man sich dies ja auch noch! Gibt es Dinge, über die ich nicht reden möchte, so kommuniziere ich dies lieber bevor ich etwas erfinde.

 

Aber ich weiß, dass nicht jeder so offen mit dem Thema Escort agieren kann.

[friederike]

Genau dies, das Ende der belastenden Lügerei, ist in meinen Augen das stärkste Argument für ein Outing.

 

Aber man macht damit nicht unbedingt andere glücklich. Es muss "in die Landschaft passen". Akzeptanz könnte ich bei meinen Eltern nicht erwarten, das Verhältnis würde sich total verändern.

 

All das muss man eben abwägen.

[Achim]

Ich bin nicht enttäuscht wenn ich belogen werde. Wahrscheinlich passiert das ein Dutzend mal am Tag. Es bleibt ja mir überlassen was ich glaub und was nicht. Wenn es für mich wichtig ist, dann gehe ich der Sache auf den Grund, sonst ignoriere ich es.

Nur selber vermeide ich Lügen. Es ist schon schwer genug alle Realitäten im Kopf zu behalten und jede Lüge zieht zwangsläufig weitere Lügen nach sich. Mir ist das zu anstrengend.

 

Beim Thema P6 reagieren Frauen fast immer mit ungläubigem Entsetzen; "Du machst so was????". "Ja" sage ich, "die Damen mögen Typen wie mich". Die meisten Männer reagieren verhalten neugierig: "Ach wirklich? Wo denn?". Manchmal kommt auch nur ein trockenes "Ich auch".

 

Mit dem Begriff Escort können Viele gar nichts anfangen. Einer dachte sogar, ich bekomme jetzt Personenschutz.

 

Die meisten Probleme habe ich mit den Partnern meiner Freundinnen. Ich nehme an, das ist bei Damen, die sich outen, genauso. Sie werden als übermächtige Konkurrentinnen betrachtet.